Der Churchill in uns

„Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.” Das Bonmot wird Winston Churchill zugeschrieben, britischer Staatsmann mit Hang zu prägnanten Zitaten (sowie Drinks und Zigarren). Aber nicht nur Daten und Tabellen sollten wachsam beobachtet werden, vor allem auch deren Interpretation.

In der gerade veröffentlichten polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2023 steht, dass die Zahl der Gewalttaten im letzten Jahr gestiegen ist: 5,9 Millionen Straftaten und 2,25 Millionen Tatverdächtige – ein Plus von 5,5 Prozent. Auch die Gewaltkriminalität (z.B. Körperverletzung, Raub, Totschlag und Mord) ist demnach um 8,6 Prozent gestiegen. 75 Prozent der Tatverdächtigen sind männlich, bei Gewaltkriminalität sind es 90 Prozent, bei schwerer sexueller Nötigung steigt die Zahl auf 99 Prozent. Statt wie einige Talkshows und Medien den Fokus auf Ausländerkriminalität zu legen (41 Prozent der Tatverdächtigen haben keinen deutschen Pass), kann man also auch fragen: Sind Männer aggressiver geworden?

Wenn ja, was bedeutet das für Unternehmen und deren Zusammenarbeit mit Belegschaft und Kunden?

Wenn Sie wollen, dürfen Sie jetzt – auf eigenes Risiko! – eine Zigarre anzünden und Wasser mit Whiskey trinken, um sich in Churchill hineinzuversetzen und die Zahlen der PKS unter die Lupe zu nehmen. Fakt ist: Ja, die Zahlen steigen wieder, liegen aber immer noch weit unter denen der 1970er und 80er Jahre. Das statistische Plus post Corona lässt sich auf verschiedene Faktoren zurückführen:

Viele Menschen fühlen sich aufgrund der Multikrisen (Krieg, Klima, Insolvenzen, Inflation…) verunsichert. Die andauernde innere Bewältigung von Spannung und Ambivalenz kostet Nerven. Schnelllebigkeit, erhöhtes Stresserleben und das Vergleichen mit anderen auf Social Media tun ihr übriges zum subjektiven Gefühl des Frusts. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsene grassiert, auch befördert von Erfolgsserien wie „Haus des Geldes“ oder „Sky Rojo”, ein vermehrt archaisches Männlichkeitsbild, bei dem Stärke und Dominanz zählen, Gewalt ein probates Mittel ist, um eigene Ziele durchzusetzen. Auch das Thema Gleichberechtigung und Emanzipation scheint Männer immer noch zu irritieren: über Generationen adaptiertes Verhalten ist heute strafbar, die Verwirrung an manchem Stammtisch groß. Hinzu kommt, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen in der Bevölkerung abnimmt, Bindungen und Zugehörigkeiten an Familie, Institutionen oder Vereine in der digitalisierten Single-Gesellschaft häufig fehlen.

Das alles kann zu einer verstärkten Gewaltbereitschaft führen.

In dieser Stimmung ist es auch am Arbeitsplatz nicht unwahrscheinlich, dass Aggression sich ihren Weg bahnt, Mitarbeiter selbst oder deren Familienmitglieder eskalieren. Hier sind Unternehmen gefragt, verlässliche Strukturen zu etablieren, schon weil ein stabiles Sicherheitsgefühl die Voraussetzung für Leistungsfähigkeit, Transformationsbereitschaft und letztlich Erfolg ist. Das bedeutet zum einen auf primärpräventiver Ebene eine Haltung zu Bedrohung und Gewalt zu kommunizieren, z.B. durch eine Kampagne oder einen prägnanten (!) Code of Conduct. Je besser die Bindung der Menschen an das Unternehmen, desto mehr Identifikation entsteht und damit ein Klima, in dem Angst und Unsicherheit gar nicht erst aufkommen bzw. Aggression und Frustration gelenkt werden. Schon durch Gesundheitsprogramme, Sport- und Weiterbildungsangebote oder Zusatzleistungen wie Betriebsrenten bekommen Mitarbeitende das Gefühl, dass sich das Unternehmen um sie kümmert und übernehmen im Gegenzug selbst Verantwortung. Auf dieser Basis ist es dann möglich, Beobachtungen über auffälliges Benehmen oder verbale Drohungen und Demütigungen zu melden – ohne sich dabei denunziantisch vorzukommen. So ein niedrigschwelliges Frühwarn-System, bei dem anschließende personelle Verantwortlichkeiten und Vorgehensweisen inklusive Rückläufe klar definiert sind, dient dazu, Einschüchterung, Mobbing, Stalking, sexualisierte Gewalt oder im Extrem auch Amoktaten zu verhindern.

Ein Angebot an monatlichen Sicherheitstrainings kann zusätzlich unterstützen, um alle Mitarbeitenden in richtigem Verhalten zu schulen, interne Prozesse zu optimieren und Ansprechpartner zu definieren. So entsteht eine Kultur, in der Bedrohungen vorzeitig erkannt und abgewendet werden können. Denn mit einigen seiner Weisheiten hat Winston Churchill durchaus Recht:

„Lasst uns an die Stelle von Zukunftsängsten das Vordenken und Vorausplanen setzen.“

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